Das Unbewusste in Ruhe lassen und das Bewusste ergreifen.
Artikel von Dr. med. Günter Weis
Viele Anregungen für die erweiterte seelisch-geistige Betrachtung des Nervensystems entstammen aus dem Werk von Heinz Grill (insbesondere bei einer Yogafortbildung mit ihm am 8. – 10. März 2013 in Tenno/Italien) und von Rudolf Steiner.
Seit langem werden im Nervensystem 2 Abschnitte unterschieden: Das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS). Das ZNS besteht aus Gehirn und Rückenmark und das PNS besteht hauptsächlich aus dem vegetativen Nervensystem. Das ZNS liegt zentriert im Kopf und in der Wirbelsäule. Seine Lage ist sehr geschützt im knöchernen Schädel bzw. von der knöchernen Wirbelsäule umgeben. Es liegt auch wie geschützt von den anderen Organen. Dies wird auch durch die Blut-Hirn-Schranke deutlich. Hier wird das Blut, das in den anderen Organen kreist noch sehr genau gefiltert, bevor es ins Gehirn kommt. Auch ist dieFlüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt, das „Nervenwasser“ (Liquor), eine wasserklare, fast reine Flüssigkeit. Darüber hinaus schwimmt das Gehirn im diesem Nervenwasser und ist hierdurch der normalen Schwerkraft zu einem großen Teil befreit.
All dies deutet darauf hin, dass das ZNS eine gewisse Freiheit vom übrigen Körper besitzt. Auch ist ja der Kopf des Menschen wie etwas herausgehoben vom übrigen Körper. Anders liegen die Verhältnisse im vegetativen NS: Es liegt nahe bei und auch in den Organen, für die es zuständig ist. Und es ist auch mehr zerstreut mit seinen Ganglien und Plexus (z. B. Solarplexus). Seine Hauptmasse liegt im Bauchraum. Es existiert sogar der Begriff des „Bauchgehirns“.
Von der Funktion her laufen im ZNS bewusste Prozesse und Sinnesprozesseab. Z. B. hat ein Mensch hat eine Frage, ein Interesse an einer Yogastellung, schaut sich diese bewusst an, liest bei anderen darüber nach und macht sich seine Gedanken und Vorstellungen dazu. Hierbei macht er Gebrauch von seiner Gedanken-, Vorstellungskraft und betätigt auch seine Sinnesorgane. Bemerkenswert ist es auch, dass die Sinnesprozesse des ZNS (Sehen, Hören,…) nach außen zu einem Gegenüber gerichtet sind.
Das veg. NS steuert die Lebensprozesse (Atmung, Verdauung, Herz-Kreislauf, Wärmeregulation, Regeneration in der Nacht…), die dem Erhalt des Lebens dienen und die meistvöllig unbewusst ablaufen. Auch die „Wahrnehmungsorgane“ des veg. NS (z. B. die Blutdruckrezeptoren an der Halsschlagader) sind unbewusst und nach innen gerichtet. Nach dem Essen z. B. muss der Mensch sich nicht darum kümmern, dass der Magen Säure produziert, sich zusammenzieht, damit die Nahrung weitertransportiert wird, usw . Dies könnte der Mensch gar nicht, er hat keinen Zugriff auf diese unglaublich weisheitsvoll abgestimmten Vorgänge. Auch hätte der Mensch gar nicht diese Weisheit und den Überblick dafür, um dies alles zu lenken. Somit besitzt das veg. NS eine höchste Intelligenz, um diese komplexen Vorgänge (allein der Verdauung) ständig fein abgestimmt zu steuern.
Aus diesem Grunde ist es nicht günstig, zu intensiv und längerfristig in die Lebensprozesse (z. B. die eigene Atmung) einzugreifen, wie es z. B. bei bestimmten Yogatechniken (pranayama und bandha) geschieht. Auch die Beeinflussung der vegetativen Geflechte (z. B. Sonnengeflecht, welches auf der Höhe des 3. Chakra lokalisiert ist) durch bestimmte Techniken kann ein ungünstiges Eingreifen in die weisheitsvolle Steuerung des vegetativen Nervengeflechtes sein. Darüber hinaus kann das übermäßige Wahrnehmen der eigenen Lebensprozesse (Atem, Herzschlag, Verdauung, usw.) diese in eine Unordnung bringen. Dies findet sich z. B. bei Menschen, die zu sehr sich um die eigene Gesundheit kümmern, jede Veränderung in der Verdauung, im Blutdruck beobachten. Hier kann es zu einer veg. Unordnung, die früher vegetative Dystonie genannt wurde, kommen.
Nun gibt es noch einen anderen wichtigen Grund für die nervöse Unruhe. Das zentrale Nervensystem, das Bewusstsein, will sich im rechten Maße weiterentwickeln, ausdehnen (das entspricht dem Lernen). Dazu muss der Mensch seine Sinne nach außen zu einem Gegenüber richten und seine Vorstellungs- und Gedankenkraft einsetzen. Im vegetativen Nervensystem dagegen laufen, wie erwähnt, ja die unbewussten Lebensprozesse ab. Auch sind nach geistiger Schau hier alle vergangenen Eindrücke und Erfahrungen des Menschen aufgespeichert. Nun ist aber das zentrale Nervensystem mit dem vegetativen Nervensystem ständig verbunden. Setzt nun ein Mensch seine Entwicklungsmöglichkeiten, die er durch das Bewusstsein hat, nicht genügend ein, so ist sein zentrales Nervensystem nicht im gesunden Maß beschäftigt. Es entsteht dann eine Art ungenutzter Raum, in den hinein zu viele unbewusste Inhalte aus dem vegetativen Nervensystem aufsteigen (z. B.: Ängste, Zwänge, alte Muster, besetzende Gedanken) können. Diese führen dazu, dass das Bewusstsein übertönt wird. Der Mensch wird dann zu viel von seinem Unbewussten geführt. Ein gut eingesetztes Bewusstsein lässt das vegetative Nervensystem in Ruhe arbeiten. Allgemeiner gesprochen braucht der Mensch für seine gesunde Entwicklung Begegnungen nach außen (Mitmenschen, andere Gedanken, …) und auch eine bewusste Auseinandersetzung mit diesen Begegnungen. Nur aus seinem bisher angelegten Innenleben heraus kann er sich nicht genügend entwickeln.
Ein Beispiel für ein gutes Einsetzen des Bewusstseins in der Asanapraxis wäre folgendes: Man betrachtet bewusst und konkret das Bild einer Yogaübung (z.B. des Baumes) und baut dazu noch eine passende Vorstellung auf (Im Baum steht der Mensch sehr aufrecht auf einem Bein, was man als Ausdruck einer Wachheit nach außen sehen kann. Gleichzeitig sind die Hände vor dem Herzbereich aneinandergelegt, wodurch sich auch ein Zentriertsein ausdrückt. Aus diesen Vorstellungen heraus praktiziert man dann die Übung. Auf diese Weise ist das Bewusstsein beim Üben viel mehr beteiligt, „hilft mit“ und dadurch bekommen die Übungen einen Ausdruck von Leichtigkeit und zugleich durch die Gestaltung aus einer klaren Vorstellung heraus eine ästhetische Form.
Zum anderen wird durch so ein Miteinsetzen des Bewusstseins es kaum vorkommen, dass alte Muster, alte Gefühle aus dem veg. NS ins Bewusstsein „hochsteigen“ und das Bewusstsein übertönen. Als Ergänzung möchte ich noch einige Gedanken dazufügen, die aus einer Regenerationswoche mit Heinz Grill vom August 2012 stammen. Eine wesentliche Frage war: Wo setzten wir unsere Kräfte ein, worauf richten wir unseren Einsatz, so dass es zur Regeneration, zum Aufbau kommt und nicht zum Abbau? Als Beispiel für einen ungünstigen Krafteinsatz wurde das Investieren von Energie in Bindungen, Symbiosen beschrieben, dort, wo eigentlich keine Entwicklung gewollt wird (Bindungen, Symbiosen stammen aus den alten, aufgespeicherten Mustern des veg. NS, die keine Veränderung, Entwicklung wollen). Man investiert vielleicht jahrelang in Beziehungen oder auch in bestimmte Bereiche einer Beziehung hinein, wo gar kein nächster Schritt gewünscht wird. Hier kann ein Teufelskreis entstehen, dass man genau das immer mehr will, was gerade nicht geht. Dieser Teufelskreis führt schnell zur Erschöpfung.
Ein weiteres Beispiel für einen ungünstigen Kräfteeinsatz war, wenn man seine Kräfte hauptsächlich zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse einsetzt. Diese entstehen meist aus einem Mangel. Ein erschöpfter Mensch hat den Wunsch nach Tatkraft, ein mutloser Mensch den Wunsch nach Lebensmut usw.. Die Bedürfnisse entstehen aber auch aus den schon angelegten Verhältnissen des Menschen heraus (veg. NS), sie berücksichtigen nicht seine zukünftigen Möglichkeiten. Diese erfordern immer einenBlick von seinem rein Subjektiven weg zu neuen, weiteren Möglichkeiten. Durch dieses Agieren hauptsächlich aus den eigenen Bedürfnissen heraus kann wieder ein Teufelskreis entstehen, der Mensch kommt nicht in die Entwicklung, in die Ausdehnung hinein, es entsteht eher eine Unruhe und Unordnung auch im vegetativen Nevensystem. Das heißt natürlich nicht, dass diese Wünsche verboten sind, sie sind ja natürlich, nur reichen sie zur Gesundung meist nicht aus. Sie bräuchten oft eine Erweiterung ins Soziale und in den Bereich der idealeren Möglichkeiten des Menschen.
Dazu bedarf es immer den Einsatz des bewussten NS, da man durch dieses nach außen, zu einem konkretenGegenüber blicken kann, auf etwas, was man noch nicht verinnerlicht hat, auf etwas Neues, Zukünftiges.Sehr gut kommt man z. B. von seinem Subjektiven weg, wenn man an einen anderen konkret denkt und sich sogar noch einen nächsten idealeren Schritt für den anderen vorstellt. Ich kann mir z. B. für meinen Partner, Kollegen, usw., der eine schlechte Haltung hat, ein Ideal vorstellen. Z. B.eine schöne sich aufrichtende Wirbelsäule mit einer günstigen Gliederung (unten