Das Vishudda cakrah – Loslassen und Neubeginnen –
Was du ererbt von deinem Vater hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen. Aus Goethes Faust, Tragödie erster Teil
Diesen Spruch von Goethe habe ich vorangestellt, denn er zeigt auf, dass nur das, was wir im Augenblick verfügbar haben, was von uns lebendig erschaffen wird, nur das wirkt für uns und andere belebend. Haben wir z. B. viel Wissen angereichert welches uns aber nicht lebendig und unmittelbar belebt zur Verfügung steht, dann belastet und beschwert uns und auch andere dieses Wissen. Dieser immerwährende Neubeginn auch mit schon erlernten Themen ist ein wichtiger Teil des fünften Zentrums.
Über Cakra allgemein
Energiezentren oder Cakra sind feinstoffliche Zentren, die nicht physikalisch nachgewiesen werden können. Das Wort Cakra kommt aus dem Sanskrit und heißt Rad. Die Cakra sind tiefe Seelenregionen. In ihnen fließt eine feinstoffliche verbindende Energie, die durch seelische Regsamkeit vermehrt und geschaffen werden kann. In meinen Yogakursen bedeutet seelische Regsamkeit die geeignete, die seelischen Werte berücksichtigende Vorstellungsbildung und Beobachtung. Diese so geschaffenen Kräfte wirken förderlich auf die körperliche Gesundheit zurück.
Diese Art der Schaffung feinstofflicher Kräfte über die aktive Gestaltungsleistung unseres Bewusstseins geht auf Heinz Grill zurück. Er nennt seine Übungsform den Neuen Yogawillen oder auch die Neue Yogaempfindung. Die aktive Gestaltungsleistung des Bewusstseins besteht in der
- Vorstellungsbildung,
- der Bewahrung der Vorstellung während dem Praktizieren der Asana und
- der damit erst möglichen Wahrnehmung und Beobachtung.
Heinz Grill schreibt hierzu in den Seelendimensionen des Yoga auf S. 34 „Das Wort Energiezentrum dürfte zu einem der verführendsten Worte in der Yogaszene zählen, denn eine Energie ist eigentlich immer unkonkret und kann die verschiedensten Bewegungen und Richtungen nehmen und somit Wahrnehmungen vortäuschen, die versehentlich als Empfindungen der höheren Welten genommen werden. …..Denn nicht irgendeine Art undefinierte Energie befindet sich in den Cakrah, den Rädern, sondern Eigenschaften der Seele bestimmter Art, die, wenn sie entwickelt sind, das Leben von innen bereichern.“
Eine andere Form, in vielen Yogaformen angewendet, ist durch die Körperübung den Fluß der Energie in diesen Zentren anzuregen, um damit auf das Gefühlsleben zurückzuwirken. Dies kann dazu führen, dass man versehentlich diese, oft auch bewegenden Gefühle als spirituell wertet. Diese Form des Übens streben wir in meinen Kursen nicht an. Dabei muss gesagt werden, dass durch die Körperübungen immer die Cakra in ihrem Fluss angeregt werden. Aber diese Energie steht nicht vordergründig im Mittelpunkt, sondern jene seelisch belebenden Kräfte, die der Mensch neu erschaffen kann. Wenn wir immer nur am Alten arbeiten und von dort unsere Kräfte holen, bleiben wir auch in dieser Sphäre verhaftet.
Das fünfte Zentrum
Das fünfte Zentrum, das auf Kehlkopfhöhe angelegt ist und den Schulter-Nackenbereich einschließt, ist körperlich gesehen, die Grenze vom Rumpf zum Kopf. Esoterisch wird beschrieben als ein feinstoffliche Zentrum vor dem Halsbereich, das in einer Radform existiert.
Anatomie – körperliche Ebene
Vor allem die Schlüsselbeine stellen körperlich gesehen eine sensible Grenzlinie dar, zwischen dem Rumpf und dem Kopf.
Die Berührung an den weit und frei nach außen gleitenden Schlüsselbeinen wirkt immer sensibel und erzeugt unmittelbar eine feine Achtsamkeit beim Menschen. Die körperliche Offenheit in diesem Bereich erzeugt eine Wachheit und Präsenz im Menschen bei gleichzeitiger Ruhe.
Auf dem oberen Bild sieht man, dass die Schlüsselbeine zum einen gelenkig mit dem Brustbein verbunden sind, zum anderen sind sie nach außen gelenkig mit den Schulterblättern verbunden.
Wichtig für die Öffnung ist auch die obere Brustwirbelsäule, die gestreckt werden muss, damit sich Brustbein und Rippen anheben können. Der Dornfortsatz des siebenten Halswirbel steht vor und ist gut zu tasten. Er heißt Prominens. Danach beginnt die Brustwirbel-säule. Mit Streckung der Brustwirbelsäule heben sich die Rippen, das Brustbein und damit auch die Schlüsselbeine an.
Um die Offenheit für den oberen Bereich zu finden, sind verschiedene Muskeln tätig. Von oben wird das Brustbein angehoben und in eine Offenheit gebracht durch Muskeln die am Kopf und Hals ihren Ursprung haben und am Schlüsselbein oder der obersten Rippe ansetzen. Das sind der Muskulus sternocleidomastoideus und die Scalenimuskeln.
An der Streckung der mittleren und oberen Brustwirbelsäule, die zu einem Anheben des Brustkorbes führen, arbeiten der Trapezmuskel und die Rhomboidalmuskulatur. Von unten wird der Brustkorb angehoben durch die Streckung der Brustwirbelsäule. Dabei spielen der Rückenstrecker und auch der breite Rückenmuskel eine wichtige Rolle. Diese arbeiten allerdings im Zusammenspiel mit sehr vielen weiteren Muskeln.
Die seelische Ebene – Gedanken und Empfindungen
Werden die Schultern nach vorne oben gezogen, sinkt das Brustbein ein und die Offenheit in diesem Bereich wird geringer. Dies ist ein Umstand den wir heute leider häufig finden.
Beide Bilder zeigen auf, dass eine aufrechte Haltung des Menschen idealer ist und diese es anzustreben gilt. Je besser wir den Kopf frei und wach einsetzen können, desto leichter wird er und desto mehr strebt der restliche Körper ihm nach.
Je freudiger und interessierter wir ins Leben gehen, je tatkräftiger wir den Anforderungen begegnen, desto mehr richtet sich der Körper von unten auf.
Gerade die Muskulatur in diesem Grenzbereich ist sehr häufig verspannt. Die Loslösung und Entspannung der Muskulatur in diesem Bereich ist häufig nicht so einfach, da die Ursache nicht allein körperlicher Art ist, sondern mit unserer Seelenstimmung zusammenhängt.
Was
du ererbt von deinem Vater hast,
Erwirb es, um es zu
besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
Nur
was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
Aus Goethes Faust, Tragödie erster Teil
Dieser Ausspruch wurde von dem Gelehrten Faust in einem bestimmten Zusammenhang geäußert. Er sitzt in seinem Studierzimmer im Mief von vielen Jahren seiner Vorgänger, vollgestellt mit Büchern und anderen skurrilen Dingen. Er sehnt sich danach auf den Grund der Dinge schauen zu können, viel tiefer die inneren Seinshintergründe zu erblicken und auch zu erleben und fühlt sich durch die Enge und die Menge der Dinge schmerzlich daran gehindert.
Dieser Spruch von Goethe passt für das fünfte Zentrum ganz gut. Der erste Teil,“Was du ererbt von deinem Vater hast, erwirb es, um es zu besitzen“ weist daraufhin dass das Ererbte noch nicht wirklich Teil von einem ist, sondern erst neu gewonnen werden muss. Das Alte bedarf der eigenständigen neuen Hinwendung, um es wieder neu zu erringen und wirklich zum Eigenen werden zu lassen.
Der zweite Teil, „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last“ weist daraufhin, dass Dinge die nicht von einem lebendig gehalten werden, nicht genutzt werden, zu einer Last werden können, das Haus vollstellen, einen erdrücken und den Blick nach vorne behindern. Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen. Dieser Satz deutet daraufhin, dass nur in der Gegenwart der Mensch einen inneren Gewinn aus der Sache zieht.
In die Seelendimensionen des Yoga gibt Heinz Grill dem fünften Zentrum folgende Überschrift. „Die Offenheit durch Vorstellungsentwicklung; Loslösung und Neuanfang“. S. 188 Wenn wir das Thema „Loslösung und Neuanfang“ nehmen, ist das Wort Loslösung, Loslassen, lösen nahe verwandt.
Was aber gilt es Loszulassen? Loszulassen gilt es all das, das uns an einem Neubeginn bzw. neuem Schritt, an der Eroberung einer neuen Fähigkeit usw. hindert. Das können falsche Vorstellungen sein, wie „das kann ich nicht“, „die anderen wollen das nicht“, ich werde nicht mehr geliebt oder angesehen, wenn ich vorwärtsschreite, usw.. Worin besteht dieser Neubeginn? Ein Neubeginn besteht immer in einer Idee, die bisher noch nicht von einem verwirklicht wurde, die damit Neu ist. Diese neue Idee muss, um umgesetzt werden zu können, wirklich durchdacht und als
Vorstellung aufgebaut werden, sonst hat sie keine Kraft die Loslösung zu ermöglichen und sich zu verwirklichen.
Die Offenheit durch Vorstellungsentwicklung
wird eine klare Vorstellung von einer Yogaübung entwickelt, so ist der Übende frei, diese nach dem Vorstellungsbilde, gemäß seiner Möglichkeiten auszuführen. Gleichzeitig ist er dabei fähig sich beim Üben zu beobachten und zu korrigieren. Er bleibt damit mit seinem Bewusstsein offen gegenüber der Übung und ist jeden Augenblick aktiv mit seinem Bewusstsein an der Übung beteiligt. Hätte er keine Vorstellung, sondern würde er die Übung aus der Gewohnheit praktizieren, dann wäre er nicht wirklich im Bewusstsein für das Neue, das mit jedem Augenblick des Übens geschieht, offen. Die Offenheit ist verbunden mit der Gegenwärtigkeit. Dies erreichen wir durch klare Vorstellungen, die wir im Tun aufrechterhalten und beobachten.
Der freie Atem
„So wird mit der freien Atemtätigkeit die Denktätigkeit von der emotionalen Leibbindung gelöst und gliedert sich in Denken, Wahrnehmen und Beobachten auf.“
Ein freier Atem führt zu einem freieren Bewusstseinsleben und zu einer freieren Atmung. Der Atem ist unmittelbar mit unserem Gefühlsleben verbunden. Gelingt es uns den Atem freier von den Gefühlen fließen zu lassen, wird auch das Bewusstsein freier. Damit gelingt erst eine freie und objektive Beobachtung gegenüber dem Körper. Der Atem ist seiner Natur nach schwerelos wie die Luft, wird er als solcher empfunden wird das Bewegungsleben leichter und freier.
Der Fisch
Die Übung der Fisch ist in „Die Seelendimensionen des Yoga“ beschrieben ab Seite 198. Die Texte von Heinz Grill müssen auch sehr genau im Augenblick gelesen werden. Häufig liest man Texte nach dem Bekannten, nach dem schon in sich abgelagerten Vertrauten. Das gelingt bei diesen Texten schlecht. Hier werden wir mit etwas konfrontiert was mit „Bekanntem“ schwierig zu verstehen ist und deshalb ganz unsere gegenwärtige Aufmerksamkeit benötigt.
Beim Fisch ist die differenzierte Spannungsverteilung wichtig. Diese bedarf eines differenzierten, wachen Bewusstseins um diese zu bewerkstelligen. Heinz Grill schreibt hierzu:
„Diese sehr wichtige Grundstellung des Yoga, die in allen Altersstufen ausgeführt werden kann, entwickelt ihren inneren Sinn durch die besondere und sorgfältig geführte Spannungsverteilung, in die sich die Körperlage einfügt.“…..
…..„Der Fisch beschreibt in diesem Sinne, ähnlich wie das imaginative Tor, die Hoffnung eines geordneten, sich immer in der Gegenwart erfahrbaren Bewusstseinslebens.“
Die differenzierte Spannungsverteilung von Anspannung und Loslassen erfordert ein waches Bewusstsein, das über den gesamten Verlauf aufrechterhalten werden muss. Man erlebt ein aktives Bewusstsein, das nach geeigneten Vorstellungen frei am Körper arbeitet. Das Bewusstsein erlebt sich selbst. Bei der Übung der Fisch hebt man den Brustkorb aus der gewohnten, heute oft eingesunkenen Haltung heraus und öffnet sich weit den durch das aktive gegenwärtige Bewusstsein einstehenden neuen Erfahrungen.
Dann kann an dieser Stelle noch ein weiterer Gedanke von Heinz Grill zum Fisch eingeführt werden:…..Das Bewusstsein kann mit einem Torbogen verglichen werden, der von dem Menschen selbst errichtet wird. Wenn das Bewusstsein selbst zu einer Ordnung bei sich im Innenraum fähig wird und das Vergangene zum Vergangenen ordnet, das Zukünftige zum Zukünftigen, und das Bewusstsein selbst als aktives Bewusstsein erlebbar ist, dann lässt sich mit jedem Tag jener sensible imaginative Torbogen des Lebens und der Lebenshoffnung empfinden.
- Wie sieht die Ordnung, die das Bewusstsein tätigt, aus?
- Was bedeutet das Vergangene und
- das Zukünftige
- was bedeutet es das Bewusstsein selbst als aktives Bewusstsein zu erleben
- Warum führen die ersten Schritte zu dieser folgenden Aussage? „dann lässt sich mit jedem Tag jener sensible imaginative Torbogen des Lebens und der Lebenshoffnung empfinden.“
Ich versuche es einmal an einem praktischen Beispiel, es gibt vielleicht noch bessere, ist aber ein erster Versuch.
Wenn ich mir jetzt das Beispiel der Gestaltung meines Gartens denke:
- Dann lasse ich als Vergangenes hinter mir z. B. den Gedanken, dass es letztes Jahr nicht so geblüht hat und gediehen ist, wie ich wollte oder ich nicht ausreichend Zeit fand den Garten zu gestalten und es dieses Jahr wahrscheinlich auch nicht besser wird.
- Das Zukünftige ist der Wunsch, dass dieses Jahr einfach alles schöner und besser werden soll.
- Das aktive Bewusstsein ist nun in folgender Vorgehensweise erlebbar. Ich lege einen Grundgedanken zugrunde: „Im Garten soll das Jahr hindurch immer etwas blühen“. Dann durchdenke ich die Schritte für die Gartenarbeit so, dass das Pflanzen der Blumen und die Pflege bezüglich meiner möglichen Zeit, meines gärtnerischen Wissens und Könnens aber auch der Jahreszeit ruhig gedacht wird und im Denken aufeinander abgestimmt wird. Dabei erlebe ich beim Denken, dass mir dabei neue Ideen kommen, mein Interesse daran steigt, ich Freude an der zukünftigen Aufgabe verspüre, neue Blumen entdecke, usw.. Zum anderen erfahre ich die Machbarkeit und damit die Hoffnung auf einen schönen Garten.
Bleibt mein Denken vage, überwiegt entweder ein unerfüllbarer Wunsch oder die vergangenen mich begrenzenden Erfahrungen.