Kaum zu überschätzen ist diese wache Aufmerksamkeit beim Essen, wenn man z. B. die Farbe bei einem roten Apfel, der einen anlacht, wahrnimmt oder auch sich aufmerksam an dem feinen Duft eines Basmatireis erfreut oder den Geschmack einer fein gewürzten Kürbissuppe sich bewußt auf der Zunge zergehen lässt.
Zum einen steigert sich natürlich eine gesunde Freude, ein gesunder Appetit am Essen. Wenn jemand kaum mehr einen gesunden Appetit verspürt, so ist die kein so gutes Zeichen für die Gesundheit. Den Nahrungsmitteln mit wachen Augen, Nasen und Geschmackssinnen zu begegnen verbessert auf gesunde Weise den Appetit. Das ungesunde unbewußte „Schlingen“ ist dann gar nicht mehr möglich. Ja noch besser, bei einem Essen mit wachen Sinnen werden sie immer mehr merken, wann sie auf gesunde Weise satt sind, und sie werden auch immer besser selber „schmecken“, was genau für sie gesund ist.
Damit die Sinne richtig wach brauch es meist konkrete Fragen, wie z. B. nach den Farben: Welche Farben kommen einem entgegen? Mehr leuchtende Farben, die einem entgegenkommen oder mehr gedecktere Farben? Harmonieren die Farben miteinander?
Weiter unten unter Übungen finden sie noch weitere Fragen, die die Sinne erwecken.
Auch die Verdauung kann ihre wichtige Aufgabe viel besser leisten, wenn die Nahrungsmittel wach gesehen, gerochen und geschmeckt werden. Denn durch diese lebendigen Sinneswahrnehmungen wird die richtige „Mischung“ der wichtigen Verdauungssäfte (Speichel, Pankreassaft („Bauchspeichel“), Galle, …) gebildet. So wird die jeweilige Nahrung optimal zerlegt, aufgeschlossen und ihre wertvollen Inhaltsstoffe können gut im Darm aufgenommen werden. Verschlingt man die Nahrung in Hast, so können die passenden Verdauungsenzyme gar nicht gebildet werden und die Nahrung „liegt einem schwer im Magen“ wird nicht richtig zerlegt und wichtige Stoffe werden zu wenig aufgenommen.
Ein weiterer Focus ihrer Aufmerksamkeit könne die Menschen sein, die das Essen zubereitet haben, die es serviert haben und auch die, die Nahrungsmittel angepflanzt und transportiert haben. Man kann natürlich nicht immer alles bis ins Detail wahrnehmen oder sich vorstellen, aber nur ein wenig auf die menschlichen Tätigkeiten geblickt, die das Essen letztlich auf den Tisch bringen, lässt sie das Essen mehr wertschätzen. Und durch eine ehrliche Wertschätzung können die nährenden Inhaltsstoffe des Essens wirklich viel besser verdaut und im Körper aufgenommen werden.
Zuletzt können sie sich darauf besinnen, dass beim Wachsen und Gedeihen eines jeden Nahrungsmittels „grössere Kräfte“ dabei sind. Ein Tischgebet nach Christian Morgenstern drückt dies sehr einfach aus:
Erde, die uns dies gebracht,
Sonne, die es reif gemacht.
Licht der Sonne, Kraft der Erde,
Euer nie vergessen werde.
Durch so eine Besinnung auf die noch „größeren Kräfte“ in der Nahrung gibt man diesen feineren Kräfte im Essen Raum und sie können auch wirksam werden, nach dem Wort: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein“.
Übung: Halten sie, bevor sie zu Essen beginnen kurz inne und richten ihre Sinne auf das Essen. Wählen sie sich am Anfang nur einen der 5 folgenden Punkte aus:
1) Wie erscheinen die Farben? Erscheinen sie warm, wie z. B. bei einer Hokkaido-Kürbissuppe? Oder hell, licht wie bei einer Orange? Oder gibt es wenig Farben? Gibt es klare Formen oder ist es mehr wie ein Brei?
2) Was für ein Geruch kommt ihnen entgegen? Können sie ihn etwas beschreiben? Ist er fruchtig, wie etwas bei frischen Äpfeln, ist er fein luftig, duftig, wie z. B. bei Basmatireis, oder riecht es nach einem bestimmten Gewürz, wie Zimt, Kümmel, Fenchel … .
3) Welchen Geschmack entfaltet die Speise in meinem Mund? Schmecke ich ein bestimmtes Gewürz heraus?
4) Welche Menschen haben für dieses Essen mitgewirkt? Sie können aufmerksam werden auf den Koch, auf den der es serviert, auf den Bauern oder auf den Händler.
5) Welche Kräfte, die grösser sind als die Menschenkräfte, haben bei dieser Mahlzeit mitgewirkt? Stellen sie sich z. B. bildhaft vor, wie der Kürbis die Sonne brauchte, damit er wachsen und auch reif und schön orange werden konnte. Wie über die Wurzeln des Kürbis Wasser und Mineralien von der Erde aufnehmen. Und auch, dass diese sehr komplexen Vorgänge des Wachsens und Reifens durch eine hohe Intelligenz, Weisheit gesteuert werden.
Führen sie diese Übung täglich bei mindestens einer Mahlzeit aus. Mit der Zeit können sie sie immer öfter ausführen und so kultivieren und vertiefen sie ihre Sinneserfahrungen, gewinnen eine sinnesfreudigere, vertiefte und wertschätzende Nähe zur Nahrung. Dies kann für die Gesundheit und darüber hinaus auch als ein kleiner Kulturbeitrag, damit die Nahrung wieder die Wertschätzung bekommt, die ihr gebührt, noch hoch genug eingeschätzt werden.
Auf ein weiterführendes Buch, das auch meine Hauptinspirationsquelle für diesen Artikel war, möchte ich unbedingt noch hinweisen: „Ernährung und die gebende Kraft des Menschen“ von Heinz Grill.
Mit vielen Bildern und anschaulichen Beschreibungen bringt der Autor dem Leser die grosse Welt der Nahrungsmittel näher und auch deren Lebenskräfte, die für die Gesundheit so bedeutsam sind. So wird der Weg zu einer wachen, wahrnehmenden und wertschätzenden Beziehung zur Ernährung deutlich geebnet. Hier der link zum Buch mit einer Leseprobe: https://stw-verlag.de/produkte/ernaehrung-und-die-gebende-kraft-des-menschen/
Günter Weis